zur Startseite
        zu den Textproben zu den Romanauszügen
Der letzte Aufbautag

Die Küche ist schon seit gestern abend in Betrieb. Da bekommen ein paar Großkopferte von den Schützngilden ein Freiessen, das, was sie wohl nicht wissen, für die Küche zugleich ein Pretest ist. Heute ist Einweisung für das Personal. Später wird die Blaskapelle proben und vom Festwirt Freibier kriegen. Wir "gewöhnlichen" Arbeiter natürlich nicht. Festwirte sind nämlich arme Menschen, die täglich um ihr kläglich Brot kämpfen müssen ...

Wir werden nur noch Kleinigkeiten ausbessern - hier einen Kleiderhaken befestigen, da ein paar bunte Bänder aufhängen, dort ein Schild festmachen.

Die Einweisung für das Personal übernimmt der Geschäftsführer. Er ist wie immer schon mittags angeheitert - vielleicht glaubt er, daß dadurch sein Tonfall menschlicher wird. Er schwingt sich auf das Musikpodest und erklärt über Mikro den ca 50 hauptsächlich weiblichen Personen das Procedere.

"Die, die schon länger da arbeiten, wissen ja, wie's geht. Für die Neuen: Bleibt in eurem Revier! Wenn's Tascherl zu voll ist, dann schnell in's Büro gewischt. 's Geld deponieren und Wechselgeld mitnehmen. Vor der Essensausgabe nicht bummeln! Paßt's auf die Italiener auf, die haben letztes Jahr photokopierte Hendlgutscheine dabei ghabt. A runtergfallenes Besteck nicht mehr servieren. Wenn die Ablösung nicht kommt, muß Doppelschicht gearbeitet werden! Wer nicht pünktlich ist, fliegt sofort, der kann sich sein Geld gleich bei mir abholen! Für die Mädls in der Bar: Wenn euch einer antatscht, am Busen oder am Po oder so, nicht gleich zuschlagen, das regle ich dann mit den Herren. Seids also net so zimperlich!"

Es ging noch einige Zeit so weiter. Dann kam er zum Schluß.

"Jetzt darf sich a jeda vom Personal ein Essen und eine Maß bei der Küchn abholen. Auf a gute Wies'n!"

Wir sahen zu, wie das Personal noch eine Zeit lang murmelnd beisammen stand, dann holte sich jeder seinen Teil. Das Essen bestand aus sehr grob geschnittenem, quaderförmigem Gulasch. Dazu gab es einen Semmelknödel, aus dem holzige Petersilienstengel ragten. Karl Valentin hätte geheult, hätte er das gesehen. Das waren weder Semmelknödel noch Semmelnknödeln, das waren Wurfgeschosse.

"So a Saufraß!", grummelte einer der mutigeren. "Känguruhfleisch", kommentierte ein anderer. Die Mehrzahl des Personals aß zügig, es schien ihnen sogar zu schmecken.

Wir sahen uns an.

"Na Mahlzeit, Töni! Gehst mit in die Kantine?"

"Augustiner, oder zum Dicken?"

"Zum Dicken. Heid graust ma vor gar nix!"

[ Romanauszüge ]
© 2002 Wolfgang J. Reus. Die Verbreitung dieser Texte oder von Teilen daraus durch Film, Funk oder Fernsehen, der Nachdruck, die fotomechanische Wiedergabe sowie die Einspeicherung in elektronische Systeme sind nur mit Genehmigung des Autors gestattet. Für Schüler- und Studentenzeitungen sowie eingetragene, anerkannt gemeinnützige Vereine ist der Nachdruck gegen Beleg frei.

Anregungen und Kommentare zum Webauftritt bitte an webmaster@wolfgang-reus.de
webdesign @ bernhard reus 2001-16