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E. und das Mädchen aus einer anderen Zeit

Eines Tages bekam E. Besuch vom Mädchen aus der anderen Zeit. "Hallo, altes Haus", lachte es, küßte ihn flüchtig auf die Stirn und setzte sich auf die schönsten Exemplare von E.'s Eierschalensammlung, "endlich ausgeschlüpft? Nett hast du's hier in deiner schwarzen Kugel." Das Mädchen musterte E. kurz, und ihre Augen flackerten unruhig, als ob sie mit dem, was sie da sahen, nicht besonders zufrieden wären.

"Du lebst wohl noch immer am Strand?", fragte E. das Mädchen aus der anderen Zeit. Obwohl er natürlich wußte, daß es sinnlos war, ihm eine Frage zu stellen. Es antwortete nie auf Fragen. Das Mädchen aus der anderen Zeit klopfte sich nur den Sternenstaub von E.'s Schultern, öffnete die letzte Flasche Wein, die E. noch geblieben war, und begann wieder zu lachen. Es drehte sich schwungvoll dreimal im Kreis, so schnell, daß sein lila Kleid kaum der Drehung zu folgen vermochte und Falten warf. Plötzlich stand es ganz still.

"Ich trinke auf deine Feinde", sagte es ernst.

E. wollte es in die Arme nehmen.

"Laß dich", wehrte sich das Mädchen aus der anderen Zeit, "du willst doch nur Liebe." Es lachte schon wieder. "Du findest mich immer am Strand, E., immer am Strand. Merke dir das gut, E., immer am Strand."

E. hätte ihm gerne noch tief in die Augen gesehen, aber da war es auch schon weg.

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